Sourcing in schwierigen Zeiten: Aus der Krise für kommende Krisen lernen
Seit April 2020 ist im Einkauf vieles nicht mehr, wie es war. Die seit zwei Jahren andauernde Krise hat mehr verändert als das Sourcing, so die Experten unserer Diskussionsrunde Ende April.
Nichts ist mehr selbstverständlich - so lassen sich die Erfahrungen der Einkaufsexpertinnen und -experten unserer Diskussion am 28. April 2022 zusammenfassen. In der engagierten und souverän von Professor Christoph Bode (Universität Mannheim) und Anabel Hoffmann (Roche) moderierten Veranstaltung brachten Michael Fredl (RALA), Nikolaus Kirner (SAP), Uwe Lohr (BASF), Bettina Merkle (Roche) und Christoph Woesler (Heidelberger Druckmaschinen) ihre Beobachtungen ein.
Beginnen wir mit dem Positiven: Die Veränderungen führen bereits heute dazu, dass sich vieles im Einkauf wandelt - im Umgang mit Lieferanten ebenso wie hinsichtlich der Stellung des Einkaufs im Unternehmen und im Zusammenspiel mit wichtigen Schnittstellen: Wann wurde dem Einkauf in den letzten Jahrzehnten so viel Aufmerksamkeit geschenkt? Wann war es wichtiger, mit Vertrieb und anderen Abteilungen im Unternehmen intensiv in ständigem Austausch zu sein? Wann musste die Unternehmensführung umfassender informiert werden, um eine Grundlage für Entscheidungen zu haben?
Auch wenn die Expert*innen unserer Talkrunde unterschiedlichen Branchenhintergrund haben - die Welt des Einkaufs hat sich bei ihnen allen in den vergangenen zwei Jahren verändert.
- Produkte und Rohstoffe, vor allem auch aus der 2. oder 3. Supply Chain Stufe, die früher ganz selbstverständlich bestellt und geliefert wurden, werden rar.
- Digitale Transformation und strategische Themen geraten in der akuten Situation aus dem Blickfeld, weil es an vielen Ecken brennt. In den Vordergrund gerückt ist das operative Geschäft.
- Das "Fire Fighting" mit zahllosen Neu- und Umplanungen sowie der aufwändigen Suche nach alternativen Lieferanten oder neuen Lösungen haben die Teams im Einkauf stark belastet.
- Lieferanten können bestehende Verträge nicht halten, wodurch die eigene Rolle als zuverlässiger Lieferant ist in manchen Bereichen in Frage gestellt ist.
Einmal mehr haben sich gut eingespielte, partnerschaftliche Beziehungen zu Lieferanten ausgezahlt, die sich einbringen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Ebenfalls ausgezahlt in der Bewältigung der Krise hat sich der Sachverstand im Einkauf. Er trägt entscheidend dazu bei, Bedarfe zu definieren, in anderen geografischen Regionen Ersatzlieferanten zu finden oder Trittbrettfahrer zu identifizieren, die die Krise nutzen, um Preise zu erhöhen oder Lieferfristen hinauszuzögern.
Und wie wird sich die Zukunft des Einkaufs gestalten? Ein Zurück zu lokalem oder regionalem Sourcing wird es trotz der Krise nur in seltenen Fällen geben, so die übereinstimmende Meinung der Fachleute. Jedoch werden die globalen Lieferketten in Zukunft diversifizierter sein, um bei Lieferproblemen schneller auf andere geografische Märkte wechseln zu können. Angesichts knapper werden Rohstoffe wird in den kommenden Jahren die Nachhaltigkeit von Prozessen weiter zu steigern sein, um ressourcenschonender produzieren zu können. Einen wichtigen Beitrag können hier Lieferanten leisten, deren Innovationspotenziale von Abnehmern noch stärker zu fördern sind als bisher. Strategisch wichtige Themen wie digitale Transformation und KI, die angesichts des "trouble shooting" in den Hintergrund gerückt sind, behalten ihre hohe Priorität. Der Einkauf wird in Zukunft - hier sind sich alle einig - eine wichtigere Rolle in Unternehmen spielen als vor der Pandemie. Die daraus erwachsenden Chancen gilt es zu nutzen.