Quo vadis China? Aktuelle Entwicklungen und die Optionen für Deutschland und Europa
China erlebte in den letzten 200 Jahren zahlreiche Umbrüche, so dass eine Einordnung des Landes komplex ist. Unserer Referentin Anja-Desirée Senz gelang es am 18. Januar 2022, einen Einblick in die Geschichte und den Status quo des Landes zu geben.
China ist ein beeindruckendes Land, allein schon aufgrund seiner Größe, Vielfalt und reichen Kultur. Seit Ende der 1970er Jahre gelang es dem Land auf beeindruckende Art und Weise, sich in wenigen Jahrzehnten von einem Agrarland zu einer modernen Industriegesellschaft zu entwickeln. Die 1978 begonnene Reform- und Öffnungspolitik führte zu einer starken Urbanisierung und Technisierung des Landes. Davon profitierte die Bevölkerung mit einer Steigerung des Lebensstandards und der Möglichkeit einer individuellen Lebensgestaltung. Zugleich gelang es China, sich in den Weltmarkt zu integrieren und eine eigene Innovationskraft zu entwickeln.
Diesen positiven Veränderungen standen und stehen bis heute auch Schattenseiten gegenüber, vermerkte Prof. Dr. Anja-Désirée Senz, Leiterin des Arbeitsbereichs Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des heutigen China am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg. Nach wie vor gebe es ein großes ökonomisches Gefälle zwischen Stadt und Land sowie zwischen dem weniger entwickelten Westen und dem ökonomisch starken Osten. Weitere Probleme seien Regulierungsdefizite und Verwaltungsprobleme sowie eine größere ökonomische Verwundbarkeit durch die Globalisierung. Die frühere Ein-Kind-Politik führe heute dazu, dass die Gesellschaft veralte, ohne dass die Sozialsysteme hierfür ausreichend vorbereitet seien. Im Staatssektor bestehe ein hoher Reformbedarf. Hinzu kommen ein hoher Ressourcenverbrauch und eine durch die schnelle Industrialisierung bedingte Umweltverschmutzung. Ökonomisch stehe China daher – so Senz – an einem Wendepunkt, da die Phase des nachholenden Wirtschaftswachstums im Inland weitgehend abgeschlossen sei und die Aufnahmefähigkeit der Weltmärkte an Grenzen stoße.
Stabilität und Sicherheit – eines der Kernversprechen an die Bevölkerung – soll nun eine starke Führungspersönlichkeit verbunden mit einer disziplinierenden Steuerung des Landes gewährleisten. Doch die Akteure sind vielfältig, die Interessen von Ministerien, Provinzen und Städten, Staatsunternehmen und Banken horizontal und vertikal miteinander vernetzt. Diese schwer nachzuvollziehende Komplexität bewirken je nach Perspektive sehr unterschiedliche Deutungsmuster Chinas, so Senz. Verschiedene China-Mythen – von neuer Weltmacht über Bedrohungsszenarien bis hin zu einem vor dem Kollaps stehenden System – prägen heute die öffentliche Wahrnehmung.
Die Heidelberger Wissenschaftlerin plädierte in ihrem Vortrag beim BME Pfalz/Rhein-Neckar dafür, stattdessen die Vielfalt des Landes wahrzunehmen und sich der eigenen Perspektive bewusst zu sein. Denn abhängig vom jeweiligen Handlungsfeld und den jeweiligen Interessen könne China Partner, Wettbewerber und Systemrivale sein. Wichtig sei es, China weder zu unter- noch zu überschätzen. Besser sei es unter anderem,
- China ganzheitlich zu denken und die verschiedenen Themenfelder übergreifend und europäisch anzugehen;
- die Informations- und Wissensstände über China zu erhöhen, um die von unterschiedlichen Interessen geprägten Beziehungen zwischen Deutschland, Europa und China einschätzen zu können;
- Chinas Interessen und die eigenen (geringen) Einflussmöglichkeiten auf China zu kennen;
- Klarheit über eigene Interessen zu haben und diese klar an China zu kommunizieren.
Sie möchten sich besser und fundierter über China informieren?
Dann besuchen Sie Echowall, eine kooperative Forschungsplattform mit Sitz am Institut für Chinastudien der Universität Heidelberg. Die Plattform stützt sich auf das Fachwissen eines breiten Spektrums von Experten in Europa und China mit dem Ziel, ein klareres Bild der chinesisch-europäischen Beziehungen in allen Dimensionen zu gewinnen.